In diesem Artikel werden wir uns mit der genauen Definition eines vermeintlichen Problempferdes und dem traurigen Weg in diese Misere auseinandersetzen. Denn noch lange nicht jedes Pferd, das als Problempferd bezeichnet wird, ist auch eins. Dieser Begriff ist zugegebenermaßen schnell dahingesagt, ohne dass man sich wirklich seiner Worte bewusst ist. Aber auch die Sprache, die wir benutzen, hat einen großen Einfluss auf unsere Einstellung zum Problem, auf unsere Emotionen und damit auf unser Handeln. Es ist wichtig, dass wir uns dessen bewusst sind, um nicht leichtfertig oder oberflächlich mit dem Problem umzugehen.
Die Bezeichnung eines Pferdes als Problempferd, das tatsächlich gar keins ist, ist nicht nur eine Verdrängung der Verantwortung für das gemeinsame Problem, sondern gleichermaßen eine ungerechtfertigte Schuldzuweisung.
Keines der angeblichen Problempferde hätte in seinem ursprünglichen Lebensraum unter natürlichen Umständen eines dieser Probleme gehabt, die so viele Pferdehalter zur Verzweiflung bringen. Von daher liegt es wohl auf der Hand, dass wir es hier genau genommen nicht mit einem Problem im tatsächlichen Sinne des Wortes zu tun haben, sondern laut Definition mit einem Konflikt. Ein Konflikt betrifft immer zwei Parteien – in unserem Fall natürlich das Pferd als auch den Menschen.
Alle auftretenden Schwierigkeiten nun gedankenlos auf das Pferd zu schieben, entspricht leider nicht dem Verhalten eines verantwortungsvollen Pferdehalters und wird die Situation nur sehr einseitig begünstigen.
Deshalb bin ich super froh, dass du hier bist, dir die Mühe machst, dich zu informieren und zu deiner Verantwortung deinem Pferd gegenüber stehst!“
Was ist eigentlich ein Problempferd?
Als Problempferd wird zunächst umgangssprachlich jedes Pferd bezeichnet, welches den menschlichen Ansprüchen in irgendeiner Form widerspricht. Dies ist natürlich eine starke Verallgemeinerung. Damit wollen wir uns hier aber nicht zufriedengeben. Um also zu verstehen, was der Oberbegriff Problempferd wirklich bedeutet, müssen wir uns ein wenig ins Detail vertiefen. Hier gibt es zunächst noch andere Begriffe zu klären, die weitaus zutreffender und spezifischer sind als das schnell abgestempelte Problempferd.
Wir fangen zunächst mit der Gegenüberstellung des Problems und des Konflikts an. Laut Definition ist ein Problem eine sehr individuelle Angelegenheit, während ein Konflikt immer mindestens zwei Parteien betrifft.
Um es mal auf die menschliche Ebene zu projizieren: Eine Situation, in der ein Mensch nicht imstande ist, eine mathematische Gleichung zu lösen, könnte als Problem bezeichnet werden. Zwei Nachbarn jedoch, die sich um die Früchte eines Baumes streiten, der genau auf der Grundstücksgrenze wächst, befinden sich in einem Konflikt.
Wenn wir nun gedanklich noch weiter gehen und überlegen, welche „Probleme“ unsere angeblichen Problempferde eigentlich haben, werden wir feststellen: Gar keine.
Alle vermeintlichen Probleme sind direkt oder indirekt durch die Einflussnahme oder Erwartungen des Menschen entstanden. Damit stecken unsere sogenannten Problempferde also eigentlich in einem Konflikt, der auch nur durch alle beteiligten Parteien gelöst werden kann. Diese Einsicht ist bei der Analyse und Therapie von entscheidender Bedeutung.
Die nächsten Begriffe, die es zu klären gilt, sind die Verhaltensauffälligkeit im Gegensatz zur Verhaltensstörung. Während die Verhaltensauffälligkeit grob gesagt ein Schutzmechanismus ist, ist die Verhaltensstörung ein Verhalten, das meist ausschließlich dem Frustrationsabbau dient und in der gegebenen Situation untypisch und unpassend erscheint – also keinen klaren, vom Menschen erkennbaren Nutzen hat oder Zweck verfolgt.
Auch wenn wir Zweibeiner die Phasen, die über die Verhaltensauffälligkeit hin zur Verhaltensstörung führen, nicht immer klar erkennen oder abgrenzen können, gibt es doch einen sehr klaren und, wie ich finde, leicht nachvollziehbaren Ablauf in diesem Prozess.
Die Abwärtsspirale vom Traumpferd zum Problempferd
Ist die erste Stufe auf der Abwärtsspirale erst betreten, kann es je nach Gegebenheiten recht schnell dazu kommen, dass wir gerechtfertigterweise nicht mehr von einer Verhaltensauffälligkeit, sondern von einer Verhaltensstörung sprechen können. Wie lang dieser Weg im Einzelfall ist, ist maßgeblich von der Leidensfähigkeit und Frustrationstoleranz eines jeden einzelnen Pferdes abhängig. Eins steht jedoch in jedem einzelnen Fall fest: Es ist ein absolutes Trauerspiel.
Hypothetisch kann jedes Traumpferd durch ein kleines Missverständnis in der Mensch-Pferd-Kommunikation über kurz oder lang zum Problempferd werden. Werden die ersten Anzeichen des Nein-Sagens bzw. der Verweigerung nicht erkannt oder ignoriert, kann sich der Prozess bereits in Gang setzen. Deswegen ist diese Phase für den Pferdehalter entscheidend. Jede Verweigerung muss unbedingt ernst genommen werden. Dies ist der Punkt, an dem die Mensch-Pferd-Beziehung anfangen kann zu wachsen und sich in die richtige Richtung zu bewegen.
Werden diese ersten Zeichen ignoriert, bleibt dem Pferd kaum eine andere Wahl, als mit härteren Bandagen zu kämpfen bzw. mit extremeren Waffen, wie z.B. Zähnen oder Hufen, in den Kampf zu ziehen. Schließlich hat es im ersten Schritt versucht zu kommunizieren und musste verstehen, dass ihm auf die nette Art niemand zuhört. Ab jetzt wird es zu seinem eigenen Schutz versuchen, schmerzhafte, angsteinflößende, stressige, frustrierende, über- oder unterfordernde Situationen zu meiden, indem es in die komplette Verweigerung oder den Abwehr-Modus wechselt. Dieses Verhalten wird gerne als Verhaltensstörung bezeichnet. Dies könnte jedoch nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein. Der Selbstschutz zählt zu den arttypischen Verhaltensweisen eines jeden Pferdes. Nichts anderes würden wir Menschen in einer vergleichbaren Situation tun, oder? Die Verhaltensauffälligkeit ist also nichts anderes als das, was der Begriff bereits aussagt: Ein auffälliges Verhalten. Diese Auffälligkeit sollten wir Menschen nicht verurteilen, sondern sie sollte uns willkommen sein, um Fehler in unserem eigenen Handeln und Missverständnisse in der Verständigung aufzuklären und Probleme aus dem Weg zu räumen, bevor die nächste Stufe auf der Abwärtsspirale betreten wird.
Denn im nächsten Schritt befindet sich das Pferd bereits in einer starken Verzweiflung. Es hat gelernt, dass es kaum einen Einfluss auf den Ausgang der Situation hat und fängt an, alle Versuche und Maßnahmen zur Konfliktlösung einzustellen. Und hier beginnt die wahre Tragödie. Es gibt sich seiner Machtlosigkeit hin und stellt den Kampf gegen Stress, Schmerz, Überforderung, Unterdrückung, Misshandlung oder die Vernachlässigung seiner Bedürfnisse ein. Fluchttiere sind von Natur aus extrem anpassungsfähig und wirklich hart im Nehmen. Man kann sich also die mentale Folter, die in einer Pferdeseele vor sich geht, vorstellen, die ein Pferd an diesen Punkt bringt. Sehr, sehr traurig.
Unglücklicherweise geht es noch weiter. Wenn sich auch jetzt die Situation noch nicht zum Guten wendet, fängt der gequälte Pferdegeist an, sich einen Frustrationsausgleich zu schaffen. Dies endet nicht selten in selbstzerstörerischem Verhalten. Koppen, Weben, Boxenlaufen, Barrenwetzen bis hin zum Beißen in die eigenen Beine oder Flanken – alles ist in diesem Stadium möglich. Die Vorstellung, dass die Selbstverletzung eine Art der Erlösung des mentalen Leidens bietet, treibt mir allein beim Schreiben dieses Abschnitts die Tränen in die Augen.
Was kannst du tun?
Bitte lass es gar nicht erst so weit kommen. Falls das Pferd jedoch bereits in den Brunnen gefallen ist, tu bitte, was nötig ist, um die Situation drastisch zu entschärfen.
Wie auch immer deine individuelle Situation aussieht, gibt es durchaus ein Prinzip, nach dem du vorgehen kannst, um vorzubeugen oder auch zu reparieren, was bereits fehlerhaft ist.
Hier sind einige Themen, mit denen du dich als verantwortungsvoller Pferdehalter bereits zu Anfang auseinandersetzen solltest:
Die Haltungsbedingungen: Defizite in der Pferdehaltung sind der größte Faktor, der Verhaltensauffälligkeiten und -störungen begünstigt und verursacht. Ich rate dir also unbedingt, mit diesem Thema anzufangen.
Das natürliche Verhalten der Pferde: Dazu gehören nicht nur die arttypischen Bedürfnisse, die Kommunikationsfähigkeiten, die Sozialkompetenz, das Lernvermögen und so weiter, sondern auch der Vergleich des natürlichen Lebensraums mit den Verhältnissen unserer Hauspferde in menschlicher Obhut.
Die Selbstreflexion: Suche nicht nur bei deinem Pferd nach Missverständnissen, sondern hinterfrage auch deine eigenen Handlungen, Erwartungen und Emotionen. Dies ist ein sehr großes Thema, welches bislang nur selten im Bereich der Pferdehaltung zu finden ist. Wenn dein Ziel jedoch eine harmonische Beziehung und eine tragfähige Partnerschaft zu deinem Pferd ist, solltest du diesen Punkt unbedingt angehen. Du wirst überrascht sein, welche Möglichkeiten sich hierdurch ergeben.
Die Blickschulung: Zu dumm, dass Mensch und Pferd nicht die gleiche Sprache sprechen. Deshalb ist es super wichtig, all die kleinen und subtilen Nuancen im Pferdeverhalten zu sehen. In diesem Bereich sind uns unsere Pferde haushoch überlegen. Also lass uns aufholen.
Prüfe dein Umfeld und such dir Unterstützung: Besonders wenn du bereits mit einer Herausforderung in deiner Mensch-Pferd-Beziehung zu tun hast, prüfe genau, von wem du Ratschläge annimmst. Aus eigener Erfahrung kann ich dir sagen, es gibt nirgendwo so viele „Alleskönner und Besserwisser“ wie unter den Tierhaltern. Entscheide dich für deinen eigenen Weg und deine Ziele und ignoriere alle gutgemeinten Ratschläge, die nicht zu deinem Plan passen. Bemühe dich stattdessen um einige Gleichgesinnte, die dich nach Kräften unterstützen, auch wenn es mal nicht so rosig läuft. Das stärkt dich auf deinem Weg und gibt Motivation.
Videoanalyse: Wenn es bei dir um Probleme im direkten Umgang mit deinem Pferd geht, zeichne die Problemsituationen mit deinem Handy auf. Du wirst staunen, was dir alles auffällt, wenn du die gleiche Situation nicht als Beteiligter, sondern als Beobachter erlebst.
Gib nicht auf! Ich weiß sehr gut, wie schwierig, frustrierend und belastend manche Situationen sein können. Aber Aufgeben ist keine Option. Die Herausforderung anzunehmen und die Entscheidung zu treffen, es bis zum Ziel durchzuziehen, wird womöglich deine Welt – und mit Sicherheit die Welt deines Pferdes – für immer positiv verändern! Viele andere haben es geschafft. Was sollte dich also abhalten?